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Die Wettbewerbsfähigkeit Europas stärken
Wenn die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union (EU) im Juni 2024 das Europäische Parlament wählen, werden entscheidende Weichen für die europäische Wirtschaft gestellt. Damit Europa im globalen Vergleich nicht abgehängt wird, braucht es unter anderem wettbewerbsfähige Energiepreise und wirkungsvolle Bürokratiebremsen.
Von Binnenmarkt über Bürokratieabbau bis Handelsabkommen – bei der Europawahl 2024 geht es auch um die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Europa sowie um den Erhalt und die Stärkung der globalen Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft. „Oberstes Ziel muss die Verbesserung der Attraktivität des Standorts Europa für Unternehmen sein. Wir haben in den letzten Jahren massiv an Wettbewerbsfähigkeit verloren, das bestätigen alle DIHK-Umfragen“, sagt Freya Lemcke, Leiterin der DIHK-Vertretung bei der EU in Brüssel. Als eine Ursache sieht sie unter anderem auch umfassenden Regulierungen durch die EU und das Fehlen effektiver Schritte, um Unternehmertum in der EU zu erleichtern. „Die EU hat eine starke wirtschaftliche Basis und durch den integrierten Binnenmarkt auch im globalen Vergleich viele Vorteile. Wir brauchen nun Maßnahmen, die in Zukunft für erschwingliche und sichere Energie sorgen, die Planungssicherheit für Investitionen und Zukunftstechnologien wie Künstliche Intelligenz schaffen, die Fachkräfte sichern und die überbordende Bürokratie abbauen“, so Lemcke. Um das Ziel der Wettbewerbsfähigkeit ressortübergreifend nicht aus den Augen zu verlieren, schlägt sie unter anderem vor, einen der Geschäftsführenden Vizepräsidenten der EU-Kommission zum Vizepräsidenten für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit zu ernennen, der entsprechende Maßnahmen koordiniert und verantwortet.
Bürokratie hemmt Innovationskraft
Dringender Handlungsbedarf besteht vor allem beim Bürokratieabbau. Das zeigt beispielsweise die „One in, one out“-Regel, die die EU-Kommission als Ziel ausgegeben hatte und die als dringend benötigte Bürokratiebremse dienen sollte. Mit der Umsetzung kommt die EU jedoch nicht voran – im Gegenteil. Statt weniger kommen immer neue Vorgaben aus Brüssel. Das zeigt sich etwa am Beispiel Klimaneutralität: Um das europäische Nachhaltigkeitsziel zu erreichen, braucht es nicht nur einen massiven Ausbau erneuerbarer Energien und ihrer Infrastruktur sowie eine sichere, günstige und grüne Energieversorgung für die gesamte Wirtschaft. Gleichzeitig müssen Bürokratielasten reduziert werden, damit Betriebe mehr Ressourcen für die klimagerechte Umgestaltung ihrer Geschäftsaktivitäten haben. Doch davon ist Europa gegenwärtig weit entfernt: Stattdessen sind durch den europäischen Green Deal, mit dem die EU-Mitgliedstaaten bis 2050 klimaneutral werden wollen, für die Unternehmen zahlreiche neue Berichts- und Informationspflichten entstanden.
Nachbesserungen sind auch an anderen Stellen dringend erforderlich: „Einige Gesetzesakte wurden sehr schnell und ohne angemessene Folgenabschätzung erlassen, insbesondere die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Gesetzen wurden nicht geprüft. Daher sieht man Inkohärenzen, teilweise Zielkonflikte, die Unternehmen, aber auch Behörden bei der Umsetzung auffallen“, sagt Lemcke. „Beispiele sind der CO2-Grenzausgleichsmechanismus CBAM oder die EU-Medizinprodukteverordnung aus der vorherigen Legislatur, für die es noch keine Nachbesserung gibt. Hier müssen die Gesetzgeber ehrlich sein und schauen, was funktioniert und wo nachgebessert werden muss.“ Auch in Sachen Digitalisierung ergeben sich für Unternehmen viele offene Fragen. Zwar fand hier in der vergangenen Legislaturperiode eine umfangreiche Gesetzgebung statt, diese hinterlässt jedoch zahlreiche Rechtsunsicherheiten und ungenügend aufeinander abgestimmte Regeln. Deshalb fordert die Wirtschaft eine intensivere Begleitung der Unternehmen bei der Umsetzung digitaler Maßnahmen, beispielsweisedurch Hilfestellungen und Guidelines.
Ein weiteres drängendes Thema, dem sich die EU in den kommenden fünf Jahren verstärkt widmen muss, ist der europaweite Fachkräftemangel. Dabei wird insbesondere die verbesserte Rekrutierung von Arbeits- und Fachkräften aus Drittstaaten durch beschleunigte und vereinfachte Verfahren stärker in den Fokus rücken. Auch die Arbeitsmobilität innerhalb der EU, die Förderung von lebenslangem Lernen und einer praxisnahen beruflichen Bildung sowie die Förderung der digitalen Transformation in der Bildung inklusive Praxishilfen für nationale Umsetzungen der relevanten EU-Rechtsakte wie dem „AI Act“ und dem „Data Act“ werden eine Rolle spielen.
„Think small first“: KMU hoffen auf konkrete Entlastungen
Vor allem kleinere und mittlere Unternehmen erhoffen sich, stärker in den Dialog über neue Gesetzesvorhaben auf EU-Ebene mit einbezogen zu werden. Denn häufig wird die Umsetzbarkeit neuer Regelungen für den Mittelstand nicht mitgedacht. „Die aktuelle EU-Kommission hat Entlastungen für KMU lediglich angekündigt und einige Regulierungen vorgeschlagen, die vereinfacht werden können. Wir hoffen, dass die nächste Kommission das ausbaut, von den Ankündigungen hin zu konkreten Entlastungen“, sagt Lemcke. Neue Gesetze sollten dann nach dem sogenannten „Think small first“-Prinzip vorab auf ihre Auswirkungen und Umsetzbarkeit für KMU geprüft werden. Eine wichtige Rolle muss dabei auch der seit 2019 versprochene EU-Mittelstandsbeauftragten spielen. Die Stelle ist noch immer nicht besetzt.
Die Herausforderungen sind zahlreich, doch es bieten sich viele Ansatzpunkte für eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Besinnt sich Europa auf die Stärke des Binnenmarktes und verliert sich nicht in kleinteiliger Regulierung, können die entscheidenden Weichen gestellt werden. Die gemeinsamen Politiken und eine geeinte EU sind nach wie vor die beste Chance, um im globalen Wettbewerb zu bestehen.
Autorin
Mascha Dinter